A. GRÖZINGER, Die Kirche - ist sie noch zu retten? Anstiftungen für das
    Christentum in postmoderner Gesellschaft, Gütersloh 1998;
Im Vorwort plädiert der Autor dafür, "die Postmoderne in ihrem ambivalenten Charakter in den Blick zu bekommen: das heißt
in ihren Risiken und Chancen."
Dabei verhehlt er nicht, daß ihm "die Chancen, die in der Herausforderung durch die Postmoder-
ne begründet sind, für die kirchliche
Praxis und theologische Reflexion ungemein größer zu sein scheinen als deren Risiken" (9).

I.    Konturen der Postmoderne

Grözinger sieht die Konturen der Postmoderne vor allem durch drei Entwicklungen bestimmt:

1.    die Individualisierung der Lebenswelten (dies bedeutet, daß gegenwärtig immer mehr Aufgaben an das Individuum
       delegiert werden, die bisher von Traditionen und Institutionen übernommen wurden);

2.    den Verdacht gegen die großen Erzählungen (dies bedeutet, daß all jene Theorie-Gebäude, die den Anspruch erheben,
       uns die Welt gültig und umfassend zu erklären und von einer solchen vereinheitlichenden Erklärung her das menschliche    
       Handeln zu verpflichten, besonders aufgrund der verheerenden Erfahrungen im 20. Jahrhundert, obsolet geworden sind);

3.    die Erfindung des eigenen Lebens (dies bedeutet, daß die Menschen aufgrund ihres Verzichtes auf die großen Erzählun-
       gen vor der Notwendigkeit stehen, selbst eine Sinngestalt für ihr Leben zu finden bzw. je neu zu konstruieren).



II.   Christentum und Postmoderne

Vor diesem Hintergrund sieht Grözinger die Zukunftsaufgabe der Kirchen darin, die Erinnerung an die überlieferten Ge-
schichten des Glaubens an Gott wachzuhalten und damit für die jeweilige >Erfindung des eigenen Lebens< der Zeitgenos-
sen fruchtbar zu machen.

"Zudem hat sich die Großerzählung >Christentum< immer wieder mit anderen Großerzählungen in einer höchst problemati-
schen Weise verbunden.
In den Hexenverfolgungen ist die Großerzählung >Christentum< am Werk im Verein mit der Groß- erzählung >Patriarchat<. In der beginnenden Neuzeit verschwistern sich die prtestantische Erzählung von der Prädestinati-
on< mit der neu entstehenden Erzählung vom >Merkantilismus< zu dem, was
Max Weber die Großerzählung  von >Prote-
stantischer Ethik und Geist des Kapitalismus< genannt hat. Die Großerzählung >Mission< hat sich zeit
weise verbündet mit
der aggressiven Großerzählung von der kulturellen Überlegenheit Europas über die anderen Teile der Welt<. Von daher
kann es
nicht verwundern, daß für viele Menschen das Ende der Groß-Erzählung Christentum weniger als beklagenswerter
Verlust, sondern als Befreiung empfunden wird. Diese Wahrnehmung und Empfindung gilt es ernst zu nehmen. Gleichwohl
wäre es für Theologie und Kirche töricht, dieser Wahrnehmung und Empfindung einfach unreflektiert nachzugeben. Es gilt vielmehr, differenziert darauf zu antworten."

Herbert Frohnhofen, 21. November 2003