Der ERSTE TEIL des Buches dokumentiert die beiden oben genannten Aufsätze
Schwagers, und zwar in der zuletzt
für die Herausgeber greifbaren Fassung. Hierbei erläutert der
erste Beitrag unter anderem, in welcher Weise die Kir-
che während des Pontifikates von Johannes Paul II. zum universalen
Zeichen der Einheit und mit Gott und unter den
Menschen geworden ist und warum die Kirche hierbei für eine weltweite
Demokratisierung der Gemeinwesen eintritt,
ohne dass diese Position selbst noch einmal demokratisch zur Disposition
gestellt werden kann. Der zweite Beitrag
diskutiert die Erlösungslehre des vormaligen Papstes, hebt hierbei
besonders auch die Bedeutung des Heiligen Geistes
hervor und bespricht zuletzt verschiedene Einwände und Aktualisierungen
(Antijudaismus, Hölle, Satan, Leiden
usw.) aus gegenwärtiger Perspektive.
Der ZWEITE TEIL des Buches "enthält Beiträge, die methodisch
im Umfeld der von Raymund Schwager begründe-
ten 'Innsbrucker Dramatischen Theologie' verfasst wurden" (12). In
einem ersten Beitrag geht Willibald SANDLER
hier der Frage nach, wie die Kirche "als universales und wirksames Zeichen
von der Welt erfasst werden kann, wenn
zu dessen Erfassung doch... ein existentielles Sicheinlassen auf das
Zeichen notwendig ist" (137). Seine Antwort geht
dahin, dass nicht die Welt dieses Zeichen erfasst, sondern dass - entsprechende
kirchliche Zeichenhaftigkeit voraus-
gesetzt - die Welt vom Zeichen, das die Kirche setzt, schlicht in einem
geistlichen Geschehen erfasst wird. Im Aus-
gang von der Eucharistie geschieht eine dramatische Transformation der Menschen,
die Zug um Zug über den in-
nerkirchlichen Kontext hinaus- und die Welt als ganze ergreift. Und: Selbst
da und dort, wo die Kirche ihre Sen-
dung verfehlt und ihr ihre Zeichenhaftigkeit zum Selbstgericht wird, kann
ihr über Schuldeingeständnis, Umkehr
und Vergebung neue Zeichenhaftigkeit zuwachsen. In einem zweiten Beitrag
diskutiert Nikolaus WANDINGER
die Lehre von der kirchlichen Unfehlbarkeit und macht hierbei deutlich,
dass das kirchliche Amt für sich selbst
Unfehlbarkeit, für seine Lehren hingegen Unabänderlichkeit
fordere (141). Diese Unabänderlichkeit könne aus ei-
ner dramatischen Perspektive durchaus mit der "in die Zukunft offenen
Interpretationsbedürftigkeit in Einklang
gebracht werden", indem die Unabänderlichkeit einer Lehre so
zu verstehen sei, dass sie "1) notwendig zu beden-
ken ist in einer gültigen Theologie und 2) nicht so bedacht werden
kann, dass die vorausgehenden Lösungen igno-
riert oder negiert werden" (163).
Wolfgang PALAVER diskutiert im Ausgang von einigen biographischen Anmerkungen
zur Entwicklung seines
eigenen Verhältnisses zur Hierarchie das Konzept einer "verwickelten
Hierarchie" und macht deutlich, dass die
hiermit verbundene Zurücknahme jedes kirchlich-gesellschaftlichen Machtanspruchs
zugunsten einer Einwirkung
auf die Kultur der Menschen seit dem II. Vatikanum und vor allem mit dem
Pontifikat Johannes Pauls II. in vol-
lem Gange ist. Wilhelm GUGGENBERGER reflektiert, auf welche Weise Kirche
zum Zeichen wird und kommt
hierbei zum Ergebnis, "dass sie das Scheitern an ihrem eigenen Auftrag
der Zeugenschaft ungeschminkt zum Aus-
druck bringen muss und es keinesfalls verschämt verbergen darf.
(Denn:) Gerade dadurch, dass sie nicht unter den
Teppich kehrt, eine höchst unvollkommene Zeugin zu sein, kann sie
Zeichen für Gott werden" (197f). Maximilian
PAULIN erläutert in seinem stark an die mimetische Theorie Girards
anknüpfenden Beitrag, dass die Zeichenhaf-
tigkeit Jesu, mithin auch der Kirche und der Kleriker für Gott gerade
darin liegt, dass jene trennenden Unterschei-
dungen zwischen Menschen aufgehoben werden, die Anlaß für Opfer
fordernde Konkurrenz und Rivalität bieten.
Petra STEINMAIR-PÖSEL und Stefan HUBER knüpfen an die von Schwager
beschriebene Heilsdynamik in Je-
sus Christus an und situieren die Kirche darin als jene Gnadenanstalt, die
in Leidenschaft und Gelassenheit Zei-
chen und Werkzeug der heilschaffenden Nähe Gottes sein darf. Dietmar
REGENSBURGER beschreibt die Zei-
chenhaftigkeit der Kirche bzw. für die Menschenwürde anhand von
dramatischen Beispielen des Widerstandes
im Nationalsozialismus, die alle auf bewegende Weise verfilmt wurden (Korczak,
Bernard, Scholl). Im Ausgang
von Graham Greenes Roman "Die Kraft und die Herrlichkeit" beleuchtet Jozef
NIEWIADOMSKI die Zeichen-
haftigkeit der sündigen Kirche, die gerade in ihrer Bedürftigkeit
nach der Gnade Gottes und in deren Annahme
gerade erst aufleuchtet. Auch der sündigste Priester - so die Darstellung
- bleibt von der Gnade Gottes und vom
kirchlichen Netz umfangen.
Der DRITTE TEIL des Bandes - "Im Gespräch mit Raymund Schwager"
- enthält "Beiträge, die außerhalb der
dramatischen Theologie mit unterschiedlichen theologischen Methoden arbeiten
und sich so auf die Fragestel-
lungen und Aussagen Raymund Schwagers einlassen" (14). Matthias SCHARER
und Bernd-Jochen HILBE-
RATH suchen das Gespräch mit der dramatischen Theologie Raymund Schwagers
aus der Perspektive der von
ihnen sogenannten kommunikativen Theologie, stellen hierbei das partizipative
Element aller Kirchenmitglie-
der an der Zeichenhaftigkeit der Kirche ins Licht und betonen beide, dass
der Dialog zwischen beiden Arten
Theologie zu treiben aus ihrer Sicht allererst am Anfang steht. Thomas BÖHM
unterstreicht in seinem Bei-
trag in ähnlicher Weise die Bedeutung der personalen Präsenz vieler
Glieder in der Kirche als Ergänzung zur
medialen Präsenz des Kirchenoberhauptes, insbesondere der Gestalt Johannes
Paul II. Aus eigener Missions-
erfahrung und vielfältiger Beschäftigung mit der Missionswissenschaft
mahnt Franz WEBER ein kommunika-
tives Missionsverständnis an, welches im II. Vatikanum zwar grundgelegt,
während des Pontifikats Johannes
Paul II. aber zugunsten einer wieder eher monologischen und zentralistischen
Perspektive zurückgedrängt
worden sei.
Franz GMAINER-PRANZL erläutert im Detail, dass die Kirche "nicht
deshalb 'katholisch' (genannt wird),
weil sie eine internationale Organisationsstruktur aufgebaut hat, sondern
weil sie Zeugnis gibt von dem, der
das Geheimnis des Menschseins lichtet. Das Kennzeichen der 'Katholizität'...
(sei) im Kontext des Zweiten
Vatikanischen Konzils grundsätzlich christologisch zu buchstabieren:
als 'signum et instrumentum' für die
Einheit mit Gott und den Menschen, nicht aber als eigenmächtige Struktur,
die anderen aufgezwungen wird"
(360). Konsequenz für das Missionsverständnis hieraus ist es, dass
Mission gerade nicht besitzergreifend vor-
gehen darf, sondern in einem je neu zu inkulturierenden Kommunikationsprozess
die Wahrheit Jesu Chris-
ti zum Leuchten zu bringen hat. Roman SIEBENROCK erläutert und begründet
im Anschluß an Raymund
Schwager die These, dass christliche Theologie immer Politische Theologie
sein muss; und zwar eine politi-
sche Theologie die "ein Teilaspekt der Ekklesiologie und der Glaubensanalyse
(ist) und (die) besteht in der
kritischen Orientierung des Handelns der Glaubenden in der Öffentlichkeit"
(392). Sehr persönlich verweist
Siebenrock dabei auch darauf, dass Raymund Schwager stets bereit war "andere
groß sein zu lassen, andere
anzuerkennen. In diesem Stil konnte er die mimetische Rivalität im Theologiebetrieb
unterbrechen" (382).
Dass der Auftrag Zeichen der heilschaffenden Nähe Gottes unter den
Völkern zu sein, nicht ein Privileg der
Kirche ist, sondern auch für Israel gilt, darauf macht Andreas VONACH
in seinem Beitrag aufmerksam. Er
erläutert Israels Erwählung aus allen Völkern, die dauerhafte
Präsenz Jahwes inmitten seines Volkes sowie
die Vision der Völkerwallfahrt zum Zion als Resultat der Zeichenhaftigkeit
Israels. Im Hinblick auf die ent-
sprechende Beispielhaftigkeit für die Kirche verweist Vonach auf die
notwendige innere Geschlossenheit Is-
raels, die in ähnlicher Weise auch Johannes Paul II. einforderte und
welche "nur gemeinsam und durch Ei-
genmotivation aller Beteiligten möglich ist" (413). Aus der Perspektive
des Johannesevangeliums stellt Mar-
tin HASITSCHKA uns Jesus Christus vor als denjenigen, der selbst Zeichen
des Heiles ist, Zeichen des Hei-
les tut und die Glaubenden einlädt, selbst zum Zeichen des Heiles zu
werden, damit auch andere zum heil-
schaffenden Glauben motiviert werden. Gertraud LADNER vertritt die Auffassung,
dass die Kirche für
Frauen ein ambivalentes Zeichen gebe; sie sei sehr offen für die Mitwirkung
von Frauen auf Gemeindeebe-
ne; (Leitungs-)Ämter freilich würden ihnen weiter vorenthalten.
Inwieweit aber "eine Kirche der Zukunft,
in der Frauen, Männer, Kinder und die übrige Schöpfung ohne
Hierarchien in gerechten Beziehungen"
(438) miteinander Kirche bilden, eine realistische Option ist, ist natürlich
sehr sehr fraglich. Abschließend
stellt Werner W. ERNST in einem recht persönlich geprägten Artikel
seine Diskussion über den Transzen-
denzbegriff mit Raymund Schwager dar. Transzendenz heißt für ihn:
"Der Unterschied zwischen Urheber-
schaft und Weltentwicklung muss als so groß angesehen werden, dass
der Zusammenhang, der freilich auch
noch zwischen diesen beiden äußersten Polen existieren muss, von
der Immanenz aus als winzig kleiner,
dünner Faden erscheint" (451).
Im Ganzen - so wird man sagen dürfen - ist das Buch eine würdige
Gedächtnisgabe für Raymund Schwa-
ger, für die den Herausgebern sehr zu danken ist. An die aktuellen Gedanken
Schwagers wird in nahezu
allen Beiträgen unmittelbar angeknüpft, sie werden weitergeführt
und mit dem eigenen Denken in Ver-
bindung gebracht. Überdies fließen viele persönliche Reminiszenzen
an den herausragenden theologi-
schen Lehrer ein. Wie soll man ihn besser würdigen?
Herbert Frohnhofen, 21. Juli 2006