Grundsätzlich bejaht Kehl diese Frage; allerdings "müssen
dabei auch die Ambivalenzen dieser Sozialform von
Kirche deutlich benannt und damit die Grenzen einertheoogischen Vermittlung
aufgezeigt werden" (390).
Vergleichbar mit vielen anderen gesellschaftlichen Organisationen ist Kirche
sowohl von seiten der Gesamt-
gesellschaft als auch für eine wachsende Mehrheit der getauften, aber
zumeist inaktiven Kirchenmitglieder
zu einer reinen Dienstleistungsorganisation geworden, deren Dienste punktuell
und je nach Bedürfnislage
in Anspruch genommen werden. Aus der Sicht des kirchlichen Selbstverständnisses
(Kirche als Gemein-
schaft der Glaubenden) ist dies allein nur eine defiziente, allerdings integrierbare
Sichtweise der Kirche.
Die unter dem Stichwort >kulturelle Diakonie< zusammenfaßbare
gesellschaftliche Dienstleistung der
Kirche kann als sakrale bzw. mystagogische, diakonische und eschatologische
Kompetenz differenziert
werden.
Theologisch ist vor allem mit dem konziliaren Begriff der Kirche als >universalem
Sakrament des Heils<
(LG 48) die kulturell geleistete Diakonie der Kirche zu integrieren.
"Als Zeichen und Werkzeug des universalen Heilswillens Gottes wird die Kirche selbst im ganzen universaler, offener, weiter, allerdings auch unbestimmter. Sie kann nicht mehr eindeutig sagen: Hier beginnt Kirche als Ort des im Glauben und in der Liebe angenommenen Heilswillen Gottes, hier endet sie. Satt dessen kann jetzt viel stärker die Möglichkeit einer großen Vielfalt von gestufter Zugehörigkeit zur Kirche oder Zuordnung zu ihr gesehen werden; und zwar nicht nur (wie es das Konzil in LG 13-17 tut) unter den Menschen außerhalb des gesellschaftlich greifbaren Verbandes der Kirche, sondern analog auch unter ihren getauften Mitgliedern selbst." (395)
Um auf der anderen Seite der Gefahr zu wehren, daß die Kirche durch die größere Durchlässigkeit an ihren Rändern in ihrer Identität Schaden nimmt, ist daneben ihr Selbstbewußtsein als partikularem Heilszeichen (mit universaler Heilspräsenz) zu stärken.
"Wir brauchen (deshalb) den Mut und die Entschiedenheit
für eine partikulare, in sich selbst noch einmal sehr differenzierte
kirchliche Eigenkultur, ohne sie programmatisch als Gegenkulturzur
Moderne zu deklarieren... Eine (solche) kirchliche Eigenkultur schöpft
unverkürzt und selbstbewußt aus dem reichen Reservoir ihrer Tradition
an Symbolen, an Liturgien, an Erzählungen,
an geistlichen Erfahrungen, an diakonischen und gesellschaftspolitischen
Initiativen usw. Sie bietet daraus eine umfassende, sinnstiftende Lebens-
und Weltdeutung aus der Mitte des christlichen Glaubens an... Auf diese Weise
könnte die Kirche für viele unserer Zeitgenossen eine Art 'Wahlheimat'
(Andreas Wollbold) werden, also eine kirchliche Heimat, die ihnen nicht einfach
geographisch oder biographisch vorgegeben ist, sondern die sie frei gewählt
haben und an der sie mitbauen, so daß sie für sie selbst und für
andere ein bergendes Haus im Glauben werden kann." (398f)