M. KEHL, Kirche als "Dienstleistungsorganisation"? Theologische
    Überlegungen, in: Stimmen der Zeit 218 (2000) 389-400;

Die Kirche wird heute in unserem Kulturraum vornehmlich als eine religiöse, soziale und pädagogische "Dienst- leistungsorganisation" wahrgenommen. Kehl widmet sich hier der Frage, ob diese praktisch-pastoral aufgreifbare Erscheinungsform von Kirche sich "auch dogmatisch verantwortbar in das theologische Selbstverständnis der Kir-
che integrieren (läßt), ohne sie damit einfach zu legitimieren und die Problematikdieser Form von Kirche zu ver-
harmlosen"
(389).

Grundsätzlich bejaht Kehl diese Frage; allerdings "müssen dabei auch die Ambivalenzen dieser Sozialform von
Kirche deutlich benannt und damit die Grenzen einertheoogischen Vermittlung aufgezeigt werden"
(390).



I.    Das empirische Phänomen

Vergleichbar mit vielen anderen gesellschaftlichen Organisationen ist Kirche sowohl von seiten der Gesamt-
gesellschaft als auch für eine wachsende Mehrheit der getauften, aber zumeist inaktiven Kirchenmitglieder
zu einer reinen Dienstleistungsorganisation geworden, deren Dienste punktuell und je nach Bedürfnislage
in Anspruch genommen werden. Aus der Sicht des kirchlichen Selbstverständnisses (Kirche als Gemein-
schaft der Glaubenden) ist dies allein nur eine defiziente, allerdings integrierbare Sichtweise der Kirche.
Die unter dem Stichwort >kulturelle Diakonie< zusammenfaßbare gesellschaftliche Dienstleistung der
Kirche kann als sakrale bzw. mystagogische, diakonische und eschatologische Kompetenz differenziert
werden.



II.    Theologische Integration

Theologisch ist vor allem mit dem konziliaren Begriff der Kirche als >universalem Sakrament des Heils<
(LG 48) die kulturell geleistete Diakonie der Kirche zu integrieren.

"Als Zeichen und Werkzeug des universalen Heilswillens Gottes wird die Kirche selbst im ganzen universaler, offener, weiter, allerdings auch unbestimmter. Sie kann nicht mehr eindeutig sagen: Hier beginnt Kirche als Ort des im Glauben und in der Liebe angenommenen Heilswillen Gottes, hier endet sie. Satt dessen kann jetzt viel stärker die Möglichkeit einer großen Vielfalt von gestufter Zugehörigkeit zur Kirche oder Zuordnung zu ihr gesehen werden; und zwar nicht nur (wie es das Konzil in LG 13-17 tut) unter den Menschen außerhalb des gesellschaftlich greifbaren Verbandes der Kirche, sondern analog auch unter ihren getauften Mitgliedern selbst." (395)



III.    Grenzen dieser theologischen Vermittlung

Um auf der anderen Seite der Gefahr zu wehren, daß die Kirche durch die größere Durchlässigkeit an ihren Rändern in ihrer Identität Schaden nimmt, ist daneben ihr Selbstbewußtsein als partikularem Heilszeichen (mit universaler Heilspräsenz) zu stärken.

"Wir brauchen (deshalb) den Mut und die Entschiedenheit für eine partikulare, in sich selbst noch einmal sehr differenzierte kirchliche Eigenkultur, ohne sie programmatisch als Gegenkulturzur Moderne zu deklarieren... Eine (solche) kirchliche Eigenkultur schöpft unverkürzt und selbstbewußt aus dem reichen Reservoir ihrer Tradition an Symbolen, an Liturgien, an Erzählungen,
an geistlichen Erfahrungen, an diakonischen und gesellschaftspolitischen Initiativen usw. Sie bietet daraus eine umfassende, sinnstiftende Lebens- und Weltdeutung aus der Mitte des christlichen Glaubens an... Auf diese Weise könnte die Kirche für viele unserer Zeitgenossen eine Art 'Wahlheimat' (Andreas Wollbold) werden, also eine kirchliche Heimat, die ihnen nicht einfach geographisch oder biographisch vorgegeben ist, sondern die sie frei gewählt haben und an der sie mitbauen, so daß sie für sie selbst und für andere ein bergendes Haus im Glauben werden kann." (398f)