Hans Kessler, Auferstehung? Der Weg Jesu, das Kreuz
und der Osterglaube, Ostfildern 4. Aufl. 2021


Hand auf's Herz: Wer hat jemals eine gute Osterpredigt gehört? Eine, die nicht bei der bloßen Behauptung
der oder dem mit Vehemenz vorgetragenen Bekenntnis zur leiblichen Auferstehung Jesu stehen bleibt und
dabei mit Verweis auf ein leeres Grab womöglich noch den Eindruck zu erwecken versucht, Jesus sei in
das zuvor gelebte Leben in Fleisch und Blut zurückgekehrt? Oder aber eine Predigt, die sich in die ganz
billigen Vergleiche zur Veranschaulichung neuen Lebens verliert: es werde doch z.B. gerade Frühling und
da blühe und sprieße doch allenthalben neues Leben? Nein, gemeint ist eine Predigt, in der zu erläutern
versucht wird, was mit dem fundamentalen Glaubensartikel von der leiblichen Auferstehung Jesu tatsäch-
lich gemeint und wie er theologisch zu verorten ist. Wahrscheinlich warten auch viele andere wie ich ihr
ganzes Leben vergeblich auf eine solche Predigt.

Auch Hans Kessler, dem emeritierten und nach wie vor höchst engagierten systematischen Theologen der
Universität Frankfurt, geht es da nicht anders und er illustriert dies im Vorwort an hanebüchenen Beispie-
len aus der gegenwärtigen Glaubensverkündigung. Doch er gibt die Hoffnung im Hinblick auf einen fun-
dierteren Umgang mit dem Auferstehungsglauben nicht auf. Nachdem er bereits vor Jahrzehnten das seit-
her immer wieder neu aufgelegte und bearbeitete umfassende Standardwerk zum Thema schuf ("Sucht den
Lebenden nicht bei den Toten"/zuerst 1985), veröffentlicht er nunmehr ein deutlich kleineres Buch zum
Thema, eines, "das sich einerseits auf dem Stand der heutigen Forschung bewegt und dort Stellung be-
zieht, das aber andererseits zugleich verständlich und lesbar sein soll" (9), ein Buch also, das "einerseits
für Kirchenferne geschrieben" wurde (9), andererseits aber auch dazu verhelfen soll, oben genannte Fehl-
leistungen in Predigt, Katechese und Religionsunterricht zu vermeiden, und zwar auch bei jenen, die nicht
fähig oder willens sind, das ausführlichere Werk zu lesen.

Und der Inhalt? Teilt sich auf in dreierlei: Dargestellt und eingeordnet werden sowohl die biblischen Zeug-
nisse (1) als auch die zu allen Zeiten populär gewordenen mythischen Geschichten um die Leugnung von
Tod und Auferstehung Jesu (2). Vor allem aber bietet das Buch eine systematisch und detailliert durch-
dachte Interpretation des Glaubensartikels von der Auferstehung Jesu, die vom Gottesglauben als solchen
ausgeht und den Glaubenssatz von der Auferstehung Jesu Christi darin fundiert verortet (3).

Und das Ergebnis? Lässt sich vielleicht thesenartig so zusammenfassen:

(1) Der zu Lebzeiten und bis zu seinem Tod am Kreuz als "schlechthin gut" (Ernst Bloch) erfahrene Jesus
von Nazareth deckt damit für die Menschen auf, dass die bedingungslose Liebe und Güte ihr Leben zu tra-
gen und heilen vermag, ihm Sinn verleiht und deshalb als Gott, sprich: als die alles bestimmende Wirklich-
keit, zu verehren ist.

(2) Jesu - auch durch außerbiblische Quellen als historisch verbürgter - Tod am Kreuz ist deshalb zu verste-
hen als das paradigmatische, sprich: in der Geschichte als solches immer wiederkehrende, Totschlagen des
"schlechthin Guten" durch jene Menschen, die von der Sünde profitieren und die deshalb den ihre Sünde
aufdeckenden und damit deren Profit bedrohenden guten Menschen in ihrer Mitte nicht mehr dulden wol-
len.

(3) Mit der bereits in der jüdischen Apokalyptik in ähnlichem Kontext verwendeten Metapher "Auferste-
hung" wird dann jene Tatsache umschrieben, dass der zunächst als Gotteslästerer am Kreuz verstorbene
Jesus von Nazareth "in die Dimension Gottes erhoben wird", soll heißen: prinzipiell für alle Augen sicht-
bar mit seiner gesamten Lebens- und Leidensgeschichte für den die bedingungslose Liebe ausmachenden
Gott steht und in dessen Namen bzw. als sein "Sohn" unter den Menschen geistig bleibend präsent ist.

(4) Dies bedeutet: "Auferstehung" ist zunächst kein auf der Raum-Zeit-Ebene sinnlich faß- und beschreib-
bares Ereignis; eine Videokamera hätte nichts aufnehmen können; die Frage mithin, ob das Grab Jesu leer
war oder nicht, ist für den Auferstehungsglauben irrelevant. Historisch fassbar ist allein das geistige Ergrif-
fensein und die Verwandlung der Jünger, das heißt die Tatsache, dass sie aus der Furcht, die sie nach der
Gefangennahme und Kreuzigung ihres Herrn befallen hatte, erlöst wurden und nunmehr ermutigt aus der
tiefen Zuversicht und Erfahrung der erneuerten (jetzt freilich nur geistigen) Präsenz ihres Herrn leben
konnten.

Es bleibt zu hoffen, dass solch eine elementare und für den christlichen Glauben grundlegende Darstellung
gelegentlich doch mal in eine Osterpredigt, eine Katechese oder den Religionsunterricht einfließen.

Herbert Frohnhofen, 22. Mai 2021