Dieser Band des bekannten
Neutestamentlers enthält dreizehn Studien zur frühkirchlichen
Christologie, die
zwischen 1967 und 2004 in sehr unterschiedlichen Zusammenhängen bereits
veröffentlicht wurden. Sie
stammen - so informiert das Vorwort des Urhebers -
"ganz überwiegend aus
Festschriften und Symposi-
ums- bänden, die oft schwer erreichbar sind" (VII). Inhaltlich konzentrieren sie sich
auf die früheste Ent-
wicklung der Christologie, die angestoßen wurde
"durch die Begegnung der Jünger mit
ihrem von Gott
auferweckten Meister Jesus von Nazareth, der wegen seines messianischen Anspruchs
gekreuzigt worden
war" (VII).
Der ERSTE BEITRAG (von 1967) - eine Exegese zu 2 Kor 5,11-21 - behandelt
den
Kreuzestod Jesu
Christi als souveräne Erlösungstat Gottes. Nach eingehender
wissenschaftlicher Erörterung der Peri-
kope kommt H. zu dem Ergebnis, dass
"fünf Schwerpunkte" das paulinische
Verständnis des Todes Jesu
Christi prägen: (1) Er ist stellvertretende Sühne für unsere Schuld. (2) Christus
erfüllt stellvertretend das
Gesetz und trägt den Fluch des Gesetzes für uns. (3) Christi Tod ist das aufgerichtete Zeichen
dafür, daß
Gott uns mit sich versöhnt hat. (4) Dieser Tod bewirkt stellvertretend unsere Rechtfertigung und versetzt
uns in den Heilsbereich der Gerechtigkeit Gottes. (5) Christi Tod gibt uns Anteil an seinem Sterben und
lässt uns der Sünde absterben, damit wir seines Lebens teilhaftig werden (24). Überdies vertritt der Autor
pointiert die Auffassung, dass die
"Versuchung einer Auflösung des christlichen Glaubens in eine Ideolo-
gie der
guten Werke, in Mitmenschlichkeit und humanitäre Haltung... seit der Aufklärung... die größte
Gefahr für den christlichen Glauben" sei (24). Der
Stellvertretungscharakter des Todes Jesu am
Kreuz sei deshalb unbedingt
festzuhalten (25). Im ZWEITEN BEITRAG
("Christologie und neutes-
tamentliche Chronologie"/1972) geht H. einer
"Aporie in der Geschichte des Urchristentums" nach,
die für ihn darin besteht, dass zwischen
"dem Tode Jesu und der voll entfalteten Christologie, wie sie
in... den paulinischen Briefen, begegnet... ein zeitlicher
Zwischenraum (besteht), der... als erstaunlich
kurz bezeichnet werden muß" (29). Er kommt aber
zu dem Ergebnis, dass bereits
"die Wirksamkeit und
Verkündigung Jesu... Ansätze zu einer expliziten Christologie" (48) enthielten, so dass der
"Grundbestand
der sogenannten 'vorpaulinischen' Christologie... (wahrscheinlich)
bereits bei der Bekehrung des Pau-
lus" vorlag (50).
Im DRITTEN BEITRAG
("Ist der Osterglaube noch zu retten?"/1973)
geht H. von einer kritischen Aus-
einandersetzung mit Rudolf Pesch und dessen vorrangigem Bezug auf den historischen
Jesus sowie der Zu-
rückweisung jeglicher Parallelisierung der Auferstehung Jesu Christi mit etwaigen
Geschehnissen um Johan-
nes den Täufer und anderen antiken Gestalten aus, betont die im Judentum zur Zeit
Jesu selbstverständliche
Vorstellung einer die Revitalisierung des menschlichen Körpers betreffenden Auferstehungsvorstellung
so-
wie insbesondere die Bedeutung der biblischen Erzählungen von den Erscheinungen des
Auferstandenen.
Unser Glaube - so H. - gründet mithin
"nicht auf unmittelbarer 'Offenbarung', sondern
auf dem 'einzigarti-
gen' apostolischen Zeugnis" von der Auferstehung Jesu Christi (70f).
"Ohne das 'Widerfahrnis'
der Aufer-
stehung Jesu (nämlich) würde der ungeheure dynamische Impuls in der Urgemeinde der ersten zwei bis
vier Jahre vor der Berufung des Paulus unverständlich" (71). Der VIERTE BEITRAG
("Der Sohn
Got-
tes"/21977) ist recht umfangreich und
diskutiert die Hintergründe der Titulation Jesu Christi als des Sohnes
Gottes. Dabei sieht H. die Wurzeln dieser Titulatur im jüdischen Sprachgebrauch und in den dort damit
"ver-
bundenen
Denkmodelle(n) der Präexistenz, Schöpfungsmittlerschaft und Sendung in die Welt" (117). Heute
sei der Titel
"Sohn Gottes... zu einer feststehenden, unverlierbaren Metapher der christlichen Theologie ge-
worden...,
(die) sowohl den Ursprung Jesu in Gottes Wesen, d.h. seiner Liebe zu allen Geschöpfen, seine
einzigartige
Gottverbundenheit wie seine wahre Menschlichkeit" aussage (145).
Im FÜNFTEN BEITRAG (1980) wendet sich H. noch
einmal explizit dem
stellvertretenden Sühnetod
Jesu zu und fragt danach, wie dieser Glaubensgegenstand als urchristliches
Kerygma entstanden ist. Oder
anders gefragt:
"Wie erhielt die Kreuzigung Jesu ihren Platz in der Mitte der
frühchristlichen Predigt?"
(146). An Hand zahlreicher Beispiele macht H. deutlich, dass nicht
"nur der selbstgewählte
Heldentod
als Weg zur Apotheose 'per aspera ad astra' und das Motiv des stellvertretenden Sterbens
für andere aus
Liebe, sondern auch die Vorstellung eines freiwilligen Todes als sühnendes Opfer...
dem heidnischen Hö-
rer des Evangeliums in seiner Weise durchaus vertraut" war (154). Wenn hier grundsätzliche
Verstehens-
schwierigkeiten auftauchten, so beträfen diese
"nicht die antiken, jüdischen oder heidnischen
Hörer, son-
dern uns als Menschen der Neuzeit" (154). Nach gründlicher Detaildiskussion kommt H. zu dem Ergeb-
nis,
dass
"die Botschaft vom heilbringenden Tod des Messias Jesus von Nazareth als 'Sühnopfer' für un-
sere
Sünden... sich mit einiger Wahrscheinlichkeit auf das für uns so schwer durchschaubare 'gemeinde-
gründende
Urgeschehen' selbst zurückführen" lasse (178). Denn erst die Begegnung mit dem Auferstan-
denen habe für die Jünger
die Bestätigung jenes messianischen Anspruchs enthalten, der ihn ans Kreuz
gebracht hatte.
"Zugleich hatte
ihn Gott durch die Auferweckung als den einzig Schuldlosen, 'der keine
Sünde kannte'
(2. Kor 5,21), erwiesen" (179).
Der SECHSTE BEITRAG
("Hymnus und Christologie"/1980) erörtert
die hohe Bedeutung von Christus-
hymnen in urchristlichen Gottediensten:
"Es wurden darin das Werk des Christus,
vor allem sein Tod, des-
sen Heilswirkung, seine Erhöhung und... in einer späteren Traditionsstufe
auch seine Präexistenz, Schöp-
fungsmittlerschaft und Menschwerdung erzählt" (196). Damit hatten die Hymnen
wesentlichen Einfluss
auch auf die
"Lehre von Christus", also die Christologie. Auch der SIEBTE (wiederum sehr
ausführliche)
BEITRAG (1987) behandelt
das Christuslied im frühesten Gottesdienst. Hier wird
deutlich, dass
"etwa
seit der Wende vom 1. zum 2. Jahrhundert der freie Gesang von Liedern im Gottesdienst... allmählich
ein-
geschränkt (wird), weil die 'häretischen' Gruppen hier in ganz besonderer Weise produktiv waren" (216);
stattdessen zieht man sich auf die alttestamentlichen Psalmen zurück, die ihrerseits dann oft auf Christus hin
interpretiert werden. Aus der Zeit vor dem 4./5. Jahrhundert sind uns deshalb keine christlichen Liedersamm-
lungen und
nur ganz wenige Lieder bzw. Liedfragmente erhalten. Erst ab dieser Zeit gibt es
"Sammlungen
kunstvoller
Hymnen(, die) durch Gregor von Nazianz und Synesios von Kyrene und in lateinischer Sprache
durch Hilarius,
Ambrosius und Prudentius erhalten geblieben" sind (222). Die wirklich große Zeit neuer
christlich-byzanthinischer
Hymnendichtung beginnt freilich erst im 6. Jahrhundert.
Der ACHTE BEITRAG
("Jesus, der Messias Israels"/1990) beschäftigt sich mit dem Streit um die Frage,
inwieweit dem historischen Jesus selbst ein messianisches Sendungsbewusstsein
zuzuschreiben ist. Der seit
William Wredes Untersuchung
"Das Messiasgeheimnis in den Evangelien"
(1901) weithin verbreiteten The-
se, dass
"das Messiasgeheimnis im Markusevangelium als eine apologetische Konstruktion
des Evangelis-
ten" anzusehen (263) und mithin zumindest von einer expliziten Messias-Titulation beim
historischen Jesus
nicht auszugehen sei, tritt H. massiv entgegen. Das Messias-Verständnis sei inhaltlich
sehr weit gefächert
und mit dem Menschensohnverständnis eng verknüpft gewesen. Dass es im Mk-Evangelium
so explizit in
den Kontext der Passion gestellt werde, sei ohne einen entsprechenden historischen Hintergrund
nicht denk-
bar. Im übrigen lasse sich aus der (enthusiastischen, ekstatischen und leidenschaftlichen/278) Verkündigung
Jesu ein explizites messianisches Sendungsbewusstsein sehr wohl herauslesen, auch wenn uns dieses heute
in in vielem fremdartig, ja ärgerniserregend erscheine (280). Der NEUNTE (erneut sehr ausführliche) BEI-
TRAG
("Setze dich zu meiner Rechten!"/1992) thematisiert die Inthronisation Jesu Christi zur
Rechten
Gottes. Diese im apostolischen Glaubensbekenntnis als Höhepunkt und vorläufiger Abschluss der drama-
tischen
Geschichte um Jesus Christus formulierte Aussage steht hier in klarem Gegensatz zu dem zuvor be-
tonten Abstieg in das
Reich des Todes. Unterstrichen wird dieser Gegensatz noch durch den Zusatz
"patris
omnipotentis" (des
allmächtigen Vaters), der als Herrlichkeitsprädikat gesehen werden darf. Gleichwohl
scheint der Aussage von
frühen Kirchenvätern - wohl aufgrund der räumlichen Metaphorik - auch mit Wi-
derständen begegnet worden
zu sein, weswegen die Formel möglicherweise in östlichen Bekenntnissen
des 3. und 4. Jahrhunderts zum Teil
fehlt (285). Im Hintergrund dieser Aussage scheint jedenfalls Psalm
110,1 zu stehen, welcher an verschiedenen Stellen
des Neuen Testamentes aufgenommen wird. Auch an
anderen Stellen des Alten Testamentes ist von einer
entsprechenden Inthronisation von Märtyrern und
Frommen die Rede, ja selbst die Weisheit gilt als Throngenossin
Gottes. Der ZEHNTE BEITRAG (1999)
behandelt
"die Throngemeinschaft des Lammes mit Gott in der
Johannesapokalypse" und vertritt die
These,
"daß die Johannesapokalypse... mit einer bildhaften, älteren
Form der Christologie diese Deu-
tung des Sohnes in seinem Verhältnis zum Vater vorbereitet" (369).
Im ELFTEN BEITRAG
("Das Begräbnis Jesu bei
Paulus und die leibliche Auferstehung aus dem
Grabe"/2002) betont H. - gegen Crossan und andere - und mit ausführlichem
Bezug auf Paulus die Tat-
sächlichkeit des Begräbnisses Jesu und des leeren Grabes. Die Auffindung des leeren
Grabes Jesu am
dritten Tag sei natürlich kein Beweis seiner Auferstehung; der Umstand aber, dass das Grab Jesu
nicht
leer gewesen wäre, hätte jeder Vorstellung und damit auch Verkündigung einer leiblichen Auferstehung
Jesu Christi in der damaligen Zeit widersprochen. Der ZWÖLFTE BEITRAG (2004) beschäftigt sich
mit
dem
"letzten Abendmahl" Jesu Christi, und zwar in der Darstellung des Paulus (1 Kor 11,23-25).
Dass die Nacht
dieses Mahles die Passanacht war, ist für H. sicher und ergibt sich aus einer Reihe von
detailliert beschriebenen
Indizien. Im DREIZEHNTEN und abschließenden BEITRAG (2004) widmet
H. sich der Verwendung der Worte
"Abba", "Maranatha" und
"Hosanna" in den Anfängen der
Christologie. H. interpretiert
die Übernahme zumindest der beiden ersten nicht-griechischen Ausdrücke
in die Texte des Neuen Testamentes als sprachlichen
Ausdruck für eine
"trotz aller heftigen Auseinan-
dersetzungen des Paulus in Jerusalem, Antiochien, in:
(Süd-) Galatien und in Korinth - letzte Einheit
zwischen judäischer Urgemeinde und den immer stärker
'heidenchristlich' werdenden Missionsgemein-
den paulinischer und anderer 'apostolischer' Prägung" (506).
Im Anschluss an die klassische Arbeit
von Jeremias hält H. daran fest, dass die Abba-Anrede Gottes durch Jesus weitgehend
singulär und
damit charakteristisch für das Gottesverhältnis Jesu ist.
Im Ganzen begegnen wir mit diesem Band einer chronologisch
geordneten Sammlung von Schriften zur
frühkirchlichen Christologie, die aufgrund ihrer hohen Qualität und soliden
Argumentation trotz ihres teil-
weise bereits fortgeschrittenen Alters von bis zu 40 Jahren große Bedeutung
auch für die gegenwärtige
wissenschaftliche Diskussion besitzen.