In drei Teilen versammelt dieser Band vierzehn Studien
des japanischen Wissenschaftlers Takashi Onuki
zum Neuen Testament und zur Gnosis, die dieser im Rahmen eines dritten Forschungsaufenthaltes
in
Deutschland im Jahr 2002 endgültig fertiggestellt hat.
"Der erste Teil plädiert zunächst für eine sozialgeschichtliche
und soziologische Analyse der Evangelien
und versucht dann... die Omnitemporalität des jesuanischen 'Jetzt' und dessen
Nachgeschichte herauszu-
arbeiten" (V). Hierbei beginnt der Autor mit einer Darlegung und Begründung der These, in
Mt 12,43-
45/Lk 11,24-26 sei von der Tollwut die Rede. Danach zeichnet der Autor die Entfaltung der Heilungs-
wundergeschichten
Jesu im Neuen Testament nach und kommt dabei zum Ergebnis, "dass die Wunder-
überlieferungen,
auch nachdem sie von ihren ursprünglichen Trägern (Sozialgeschichten) losgelöst und
ins christliche Gemeindeleben
aufgenommen, organisiert und funktionalisiert worden waren, in verschie-
denen Gemeinden und unterschiedlichen 'Sitz im
Leben' weiterhin einer Form- und Funktionsverände-
rung ausgesetzt waren" (39). Onuki erläutert
überdies das christliche Zeiterleben als omnitemporales
'Jetzt' sowie die Tatsache, "dass das Reich Gottes, dessen Festmahl
bereits im Himmel bei Gott begon-
nen hat, auf Schritt und Tritt bei Jesus auf die Erde eindrängt... nicht allein
(aber) auf der Zeitachse von
der Zukunft in die Gegenwart, sondern zugleich auf der Vertikalachse vom Himmel auf die Erde" (91).
Er diskutiert die Verwendung des Markus-Evangeliums in der zeitgenössischen koreanischen Minjung-
Theologie,
legt eine literatursoziologische Analyse des Johannesevangeliums vor und erläutert die Chris-
tologie und
Eschatologie in der lukanischen Theologie, welche in ähnlicher Weise später von Irenäus von
Lyon aufgegriffen
wird.
"Der zweite Teil befasst sich mit der Gnosis zuerst im Hinblick
auf ihre traditions- und geistesgeschichtli-
chen Beziehungen zu den johanneischen Schriften und zu den hellenistischen Schulphilosophien.
Sodann
wird die gnostische Sexualaskese mit dem Ziel der Vernichtung der Welt mit der der apokryphen
Apostel-
akten und des frühen Mönchtums verglichen" (V). Ausführlich diskutiert der Autor
hier gnostische und
monastische sexualasketische Strömingen im und im Umfeld des frühen Christentums und stellt
diesem die
'Keuschheit' zum 'bescheidenen Eheleben' in den Pastoralbriefen und den Apostolischen Vätern gegenüber.
Daran anschließend erläutert er die Rekapitulationstheorie des Irenäus in der Perspektive einer Vollendungs-
bzw. Heilsgeschichte für die Menschheit; im Zusammenhang damit beschränkt Irenäus "den Schöpfungsakt
Gottes nicht punktuell auf einen bestimmten Zeitpunkt, sondern versteht darunter inklusiv die ganze Heils-
veranstaltung
Gottes... von der Erschaffung Adams bis hin zu dessen endzeitlicher Vollendung" (354). Für
die Christologie ergibt sich daraus, dass der "Präexistente... bereits der Fleichgewordene, der Gestorbene
und der Auferstandene" ist (363) und die Heilsgeschichte als ganze differenziert Irenäus in vier Epochen:
"die
Zeit der alttestamentlichen Patriarchen und Propheten, die Zeit des Inkarnierten, die Zeit der Apostel
und schließlich
die Zeit der Kirche" (367).
"Der dritte Teil stellt sich die Aufgabe, die problematischen
Rollen, die Apokalyptik und Gnosis im derzei-
tigenJapan und auch in anderen Industrieländern spielen, darzustellen und
zu erklären" (V). Onuki plä-
diert hier dafür, "das Negative der apokalyptischen Eschatologie zu überwinden
und das Positive zu über-
nehmen." Hierbei müßten wir "von der Versuchung, die Zukunft im Voraus kalkulieren
zu wollen, befreit
werden und unser Verantwortungsbewusstsein für das 'hic et nunc'... zurückgewinnen"
(406). Abschlie-
ßend bespricht Onuki Dissoziierungs- und Integrationstheorien, wie sie in der spätantiken Gnosis
und bei
C.G. Jung formuliert werden und stellt diesen die versöhnende Reich-Gottes-Lehre des Neuen Testamen-
tes,
insbesondere des Paulus, gegenüber. Mit Verwunderung nimmt der Leser dabei zur Kenntnis, dass der
ebenso polemische
wie nichtssagende Ausdruck des "Frühkatholizismus" (436ff) hier wieder fröhliche Ur-
ständ
feiert. Im Ganzen finden sich zahlreiche sehr aktuelle und höchst interessante Untersuchungsaspekte
in diesem
Band, die jedoch dem Leser etwas zusammenhanglos präsentiert werden.
Herbert Frohnhofen, 1. November 2005