P.H. WELTE, Ins Böse
verstrickt. Versuch einer Neuinterpretation
der Erbsündenlehre (Theologische Orientierungen 12) Berlin 2009;
Die besten theologischen Bücher
- das ist fast immer so - sind diejenigen, die aus jahrzehntelanger Forschung
und Lehre erwachsen sind, dementsprechend sowohl auf die Fragen der aktuellen
Gegenwart und Kultur
Bezug nehmen als auch auf die Tradition der (auch lehramtlichen)
Theologie sowie schließlich - und das ist
für die Erfahrenen
das KO-Kriterium - keinen Ehrgeiz erkennen lassen, die angesprochenen Inhalte
- sofern
denn tatsächlich welche geliefert werden - hinter einer möglichst
unverständlichen Spezialsprache verschwin-
den zu lassen. Dies alles trifft
auf das vorliegende Buch in vorbildlicher Weise zu. Es ist deshalb vor allem
für
die theologische Lehre sehr zu empfehlen. Schauen wir aber etwas
genauer hin:
Der Autor, Dominikaner, hat über
35 Jahre Theologie an Hochschulen in Taiwan und China gelehrt. Gerade
vor
diesem Hintergrund hat er die Erbsündenthematik als eines der zentralen
Lehrstücke christlicher Theologie
schätzen gelernt, auch wenn man
vor rund 40 Jahren in unserem kulturellen Kontext vielfach meinte, sich von
dieser Lehre allmählich verabschieden zu dürfen bzw. zu müssen;
für die Gegenwart benennt er freilich auch
Beispiele für ein neuerliches
Interesse daran. Wichtig erscheint dem Autor eine Neuformulierung des Lehr-
stücks, damit es auch unter veränderten kulturellen Bedingungen
in seiner Aussageabsicht gut verstanden wer-
den kann. Notwendig sei eine
Neuformulierung der Erbsündenlehre, weil sie in ihrer traditionellen
Form so-
wohl an die Vorstellung der Abstammung der gesamten Menschheit aus
einem einzigen Paar als auch an die
Vorstellung der Historizität der
biblischen Ursündegeschichte gebunden, beides aber heute überholt
sei;
legitim sei eine solche Neuformulierung, weil unter anderem I. und II.
Vatikanum ausdrücklich zu solchem
Tun aufforderten (vgl. DH 3016f/AG
22/GS 20f).
Mit Recht macht der Autor sodann
darauf aufmerksam, dass der Begriff "Erbsünde" selbst nicht biblisch
ist,
sondern dass das mit diesem Begriff Gemeinte eher zusammenfassend beschreibt,
was uns durch Welterfah-
rung und durch biblische Geschichten und vor allem
aufgrund der Christus-Offenbarung bekannt ist. Gerade
vor dem Hintergrund
des absoluten Heilswillens Gottes und der Erfahrung der Menschen mit Jesus
Christus
wird ihre eigene Verstrickung in die Sünde allererst offenbar;
sie ist also mittelbar Geoffenbartes und doch -
als Gegenüber zum Heilswillen
Gottes und zur Heilstat Jesu Christi - nicht weniger bedeutsam als andere
Offenbarungsinhalte.
So erläutert Welte in der Folge
die Erbsünde als Teilhabe an der universalen Sündenverstricktheit
der Men-
schen, welcher niemand durch eigene Kraft oder Initiative entfliehen
kann. Dass der Tod als Folge der Ursün-
de und Beigabe der Erbsünde
(im Normalfall) nicht im biologischen Sinn, sondern in übertragenem
Sinn als
Gottesferne und damit Sinnlosigkeits- und Einsamkeitserfahrung
zu verstehen ist, ist heute dem theologisch
ein wenig Bewanderten zwar
keine Neuigkeit. Welte gelingt es aber auch hier, detailliert zu zeigen,
dass dies
nicht im kontradiktorischen Widerspruch zu früheren lehramtlichen
Äußerungen verstanden werden muss.
Es kommt sodann der Unterschied zwischen
Erb- und Tatsünde ausführlich zur Sprache und der Autor setzt
die
von ihm vorgenommene Neuinterpretation der Erbsünde mit anderen Glaubensinhalten,
insbesondere der
Lehre von der Rechtfertigung, der Wirkung der Kindertaufe
und der Maria-Immakulata-Lehre in Beziehung.
- Dies alles ist sehr solide
und deshalb gut nachvollziehbare theologische Arbeit; manch anderem zeitge-
nössischen
philosophischen oder theologischen Werk würde man nur einen Bruchteil
der hier ganz
selbstverständlich angewandten dominikanisch-thomanischen
Systematik des Arbeitens wünschen.