Theologie-Systematisch
Theologische Anthropologie
§ 3. Die Geschöpflichkeit des Menschen
V. Kulturelle Aspekte des Lebens
Texte-Arbeit


"Die Arbeit ist für die Verwirklichung des Menschen und die Entwicklung
der Gesellschaft von vorrangiger Bedeutung. Aus diesem Grund ist es not-
wendig, dass sie immer in der vollen Achtung vor der menschlichen Würde
und im Dienst des Gemeinwohls organisiert und verrichtet wird. Gleichzei-
tig ist es unverzichtbar, dass der Mensch sich nicht von der Arbeit ver-
knechten lässt, dass er sie nicht vergötzt und so den Anspruch erhebt, in
ihr den letzten und definitiven Sinn des Lebens zu finden."


(P. Benedikt XVI., Predigt am 20. März 2006, zum Gedenktag des Heiligen Josef)

"In der griechischen Welt galt die körperliche Arbeit als Sache der Unfreien. Der Weise, der wirklich
Freie ist allein den geistigen Dingen hingegeben; er überlässt die körperliche Arbeit als etwas Niedri-
ges den Menschen, die zu diesem höheren Dasein in der Welt des Geistes nicht fähig sind. Ganz an-
ders die jüdische Tradition: Alle die großen Rabbinen übten zugleich auch einen handwerklichen Be-
ruf aus. Paulus, der als Rabbi und dann als Verkünder des Evangeliums an die Völkerwelt auch
 Zeltmacher war und sich den Unterhalt mit der eigenen Arbeit seiner Hände verdiente, ist hier keine
 Ausnahme, sondern steht in der gemeinsamen Tradition des Rabbinentums. Das Mönchtum hat die-
se Überlieferung aufgenommen; der Hände Arbeit gehört konstitutiv zum christlichen Mönchtum.
 Benedikt spricht in seiner Regula nicht eigens über die Schule, obwohl Unterricht und Lernen prak-
tisch darin vorausgesetzt sind, wie wir sahen. Aber er spricht ausdrücklich über die Arbeit (vgl. Kap.
48). Und genauso Augustinus, der der Mönchsarbeit ein eigenes Buch gewidmet hat. Die Christen,
die damit in der vom Judentum vorgegebenen Tradition fortfuhren, mussten sich dazu noch zusätz-
lich angesprochen sehen durch das Wort Jesu im Johannes-Evangelium, mit dem er sein Wirken am
 Sabbat verteidigte: 'Mein Vater arbeitet bis jetzt und auch ich arbeite' (5,17). Die griechisch-römische
Welt kannte keinen Schöpfergott; die höchste Gottheit konnte sich ihrer Vision nach nicht mit der Er-
schaffung der Materie gleichsam die Hände schmutzig machen. Das 'Machen' der Welt war dem De-
miurgen, einer untergeordneten Gottheit vorbehalten. Anders der christliche Gott: Er, der eine, der
 wirkliche und einzige Gott ist auch Schöpfer. Gott arbeitet; er arbeitet weiter in und an der Geschich-

te der Menschen. In Christus tritt er als Person in die mühselige Arbeit der Geschichte ein. 'Mein Va-
ter arbeitet bis jetzt und auch ich arbeite.' Gott selbst ist der Weltschöpfer, und die Schöpfung ist nicht 
zu Ende. Gott arbeitet. So musste nun das Arbeiten der Menschen als besondere Weise der Gotteben-
 bildlichkeit des Menschen erscheinen, der sich damit am weltschöpferischen Handeln Gottes beteili-

gen kann und darf. Zum Mönchtum gehört mit der Kultur des Wortes eine Kultur der Arbeit, ohne
die das Werden Europas, sein Ethos und seine Weltgestaltung nicht zu denken sind. Zu diesem Ethos
müsste freilich gehören, dass Arbeit und Geschichtsgestaltung des Menschen Mit-Arbeiten mit dem
 Schöpfer sein will und von diesem Mit her ihr Maß nimmt. Wo dieses Maß fehlt und der Mensch sich
selber zum gottartigen Schöpfer erhebt, kann Weltgestaltung schnell zur Weltzerstörung werden."


(P. Benedikt XVI., Grundsatzrede zur Kultur am 12. September 2008 in Paris)