Hadumod Bußmann/Renate
Hof (Hg.), GENUS. Geschlechterforschung/Gender
Studies in den Kultur- und Sozialwissenschaften.
Ein Handbuch, Stuttgart 2005;
Dieses Buch ist die wesentlich erweiterte Neuausgabe
eines bereits 1995 erstmals - ebenfalls im Kröner-Ver-
lag - erschienenen Werkes ("Genus. Zur Geschlechterdifferenz in den
Kulturwissenschaften"), das von densel-
ben Herausgeberinnen verantwortet wurde. Ausgangsthese des Buches, die
als "Einsicht der Gender Studies"
bezeichnet wird, ist es, "daß Weiblichkeit und Männlichkeit
nicht aus biologischen Konstanten abgeleitet wer-
den können, sondern auf historisch-zeitgebundenen, soziokulturellen
Konstruktionen von sexueller Identität
basieren" (VII). Vor diesem Hintergrund habe "die Genus/gender-Forschung
im letzten Jahrzehnt eine Fülle
von Studien hervorgebracht, die sowohl die Geschichte der Symbolisierung
der Geschlechter widerspiegeln,
als auch die Bedeutung der Sprache für die Konstitution der Geschlechterbeziehungen
aufzeigen" (VII). Der
Titel "Genus" sei gewählt wurden, da es im Deutschen bislang
keine eingeführte Entsprechung für den eng-
lischen Begriff "gender", also die sozio-kulturell hergestellte
Geschlechterdifferenz gebe. Das Handbuch ent-
hält 16 Beiträge aus diversen Kulturwissenschaften, die jeweils
"eine Übersicht (liefern) über die grundlegen-
den gender-Debatten in ihrem jeweiligen Fachgebiet, wobei eine Ausgewogenheit
zwischen Theorie und Em-
pirie, zwischen methodischen Reflexionen und Anwendungsbeispielen angestrebt
wurde. Besonderer Nach-
druck gilt offenen Forschungsfragen - insbesondere im Hinblick auf transdisziplinäre
Vernetzungen und
internationale Perspektiven" (IX).
In der Einleitung informiert RENATE HOF über
den Stand der Geschlechterforschung im allgemeinen, die
im vergangenen Jahrzehnt - auch in Deutschland - an Umfang und Bedeutung
sehr zugenommen habe. Frau-
enforschung habe zwar eine lange Tradition; diese habe jedoch über
lange Zeit "die geschlechtsspezifischen
Machtverhältnisse innerhalb unserer Kultur nahezu vollständig
übersehen" (7). (Interessant ist, dass es der
Frauenforschung offensichlicht in einem weit überproportionalem Maß
um die Macht geht; gibt es eigentlich
nichts anderes, was Frauen prägt und sich ebenfalls der Erforschung lohnte?)
Dies habe sich erst geändert, als
empirische Untersuchungen zur geschlechtspezifischen Sozialisation in den Mittelpunkt
des Forschungsinter-
esses gerückt wurden. Vor diesem Hintergrund sei in den 1970er Jahren die Unterscheidung
von sex und
gender vorgenommen worden, mit welcher die biologischen Grundlagen des Geschlechts einerseits
von ge-
sellschaftlichen Konstruktionen des Geschlechts andererseits abgegrenzt werde. Erst mit Hilfe
dieser Unter-
scheidung "konnte auch die Beziehung der Geschlechter zueinander nicht länger
als Ausdruck einer stati-
schen, naturgegebenen Ordnung verstanden werden" (13). Andererseits führte die
Unterscheidung von sex
und gender aber auch dazu, die Beziehungen zwischen beidem zu bedenken, zumindest einmal insoweit,
als mit Michel Foucault darauf hingewiesen wurde, "in welchem Ausmaß unser Verständnis
des geschlecht-
lichen Körpers immer schon gesellschaftlich-kulturell vermittelt ist" (17). - Eine überdies
häufig kontrovers
diskutierte Frage sei, was denn überhaupt der Begriff "Konstruktion" im Zusammhang der Gender-Diskussi-
on
meine. Eine umfangreiche Bibliographie schließt die Einleitung - wie auch jeden der folgenden Einzelbei-
träge
- ab. - Zur Besprechung werden hier einige Beiträge beispielhaft herausgegriffen:
In sehr differenzierter Weise geht SUSANNE SCHRÖTER
der einschlägigen Entwicklung in der Ethnologie
nach. Hierbei konstatiert sie, dass die im Ursprung (seit Herodot und Diodorus
in der Antike) allein von Män-
nern geleistete Forschung auf diesem Gebiet erst im 20. Jahrhundert durch
Autorinnen ergänzt wurde, die ihre
Arbeiten zunächst als "Ergänzungen der Forschungen ihrer Männer,
(und) nicht als eigenständige Perspektive
auf einen bestimmten Gegenstand oder gar als Kritik einer einseitig männlichen
Sichtweise" verstanden (45).
Erst in den 1970er Jahren markierten zwei Sammelbände eine feministische
Wende innerhalb des Faches, wo-
durch heftige Kontroversen ausgelöst wurden. Insbesondere wurde von
Autorinnen darauf hingewiesen, dass
neben den von männlichen Forschern häufig in den Mittelpunkt gestellten
Bereichen der Jagd und des Krieges
auch viele andere Lebensprozesse für den Bereich der kulturellen Evolution
große Bedeutung hatten. Dabei
wurde selbst die These eines in vielen Kulturen vorherrschenden Patriarchats
weitgehend dadurch in Frage ge-
stellt, dass eine Reihe von Lebensbereichen erforscht und aufgewiesen wurden,
die als Felder weiblicher
Macht angesehen werden müssen. So wurde "Komplementarität der Geschlechter" zum Schlüsselwort von
Veröffentlichungen der 1990er Jahre; allerdings ist auffällig, dass sich aktuelle
"ethnologische und anthropo-
logische Männerforschung vorwiegend mit den Schattenseiten von Männlichkeit,
nämlich ihrem gewalttätigen
Aspekt, auseinandersetzt. Auch in den Theorien der Männerforscher dominiert ein
negatives Männerbild...
Paradoxerweise bestätigten Männerforscher so in ihrer überwiegenden Mehrheit
die frühen feministischen
Patriarchatstheorien, nach denen Frauen Opfer männlicher Täter sind" (56). Sollten
tatsächlich inzwischen
Männerforscher dermaßen durch das pejorative Männerbild beeinflusst sein, das feministische Sichtweisen
pflegen?
"In ihrem traditionellen Selbstverständnis",
so stellt CORNELIA KLINGER fest, "ist die Philosophie wohl
diejenige Disziplin, die sich der Frage nach der Geschlechterdifferenz
am nachhaltigsten entzieht... Sie hat die
Kategorie Geschlecht weder als Aspekt der conditio humana, d.h. als alle
Menschen betreffende Gegebenheit
und Bedingung menschlicher Existenz, noch als Grundstruktur jeder Organisation
von Gesellschaft, und erst
recht nicht im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Konstitution
des philosophischen Denkens reflektiert"
(330f). Hierbei ist für die Vergangenheit des philosophischen Diskurses wichtig,
dass das "Ungleichgewicht
zwischen den beiden Geschlechtern, welches unsere Kultur und Gesellschaft prägt", nicht entsteht, "weil der
Mann sich als das erste und vorrangige Geschlecht setzt und die Frau zum zweiten,
nachrangigen Geschlecht
degradiert, sondern weil der Mann für sich zwei Positionen beansprucht, die
des überlegenen Geschlechts
und die des geschlechtsneutralen Menschen zugleich" (334). Eben weil der traditionelle
philosophische Dis-
kurs - als exklusiv männlicher Diskurs - von seiner geschlechtsspezifischen Prägung
absieht, kann die ge-
schlechtsspezifisch männliche Perspektive zum Absoluten werden. Umgekehrt heißt dies: erst
das Einbezie-
hen dessen, dass aus bestimmter - nämlich männlicher Perspektive - betrachtet und geschrieben
wird, würde
die Einsicht ermöglichen, dass es auch andere - legitime, in diesem Falle weibliche - Sichtweisen gibt.
Dies
gilt so natürlich für alle die je eigene Position einschränkend bestimmenden Perspektiven.
Für den Bereich der Theologie geht REGINA
AMMICHT-QUINN vom "Identitätswechsel" aus, den vier
exemplarisch ausgewählte Frauen (Maria aus Magdala, Maria, die Mutter
Jesu, Junia und Eva) im Laufe der
Glaubens- und Deutungsgeschichte erfahren haben. Gerade an der Deutungsgeschichte
dieser vier Frauen
sei abzulesen, wie ausgeprägt der jeweilige sozio-kulturelle Hintergrund die
Sichtweisen von Personen prägt
und sich ggf. auch verändert. Die heute vielfach interkonfessionell oder gar interreligiös
betriebene feministi-
sche Theologie erscheine als eine Vielfalt feministischer Theologien; diese entstanden
in der zweiten Hälfte
des 20. Jahrhunderts und finden heute vor allem im "Weltrat der Kirchen" ihren Promoter
(569). Für den Be-
reich der katholischen Theologie wird beklagt, dass viele der offiziellen kirchlichen Texte "Dokumente
der
fehlenden Auseinandersetzung mit feministischen Theorien und Positionen" seien; die geschlechtliche
Be-
stimmtheit der Menschen werde "aus einer Perspektive heraus erörtert, die selbst nicht 'als
je begrenzte
wahrgenommen und reflektiert wird'" (570f). Durch den Ausschluss von Frauen vom Priesteramt bestehe
"in der
katholischen Kirche eine symbolische Ordnung, in der es keine religiösen Autoritätszuschreibun-
gen
an Frauen gibt" (571). Aus der Sicht der Autorin gibt es drei Bereiche, in denen theologische Gender-
Forschung "ihr Veränderungspotential
entwickeln und zur wissenschaftstheoretischen und praktischen Her-
ausforderung werden kann" (574). Gemeint sind: (i) die Tradition, insofern diese aufgearbeitet werde als ei-
ne "in sich selbst verkrümmte
Wissenschaft" (576), (ii) die Theorie, insofern diese eine "Dehierarchisierung
und Dezentralisierung"
erfahren solle (576), sowie (iii) das Subjekt, insofern die Theologie "ein anthropolo-
gisches Konzept (braucht), das das
Geschaffensein und die damit verbundene Einzigartigkeit des Menschen
formuliert und das gleichzeitig die
Analyse von Machtstrukturen betreibt, die durch die Jahrhunderte die
'Grammatik' der Subjekte geprägt
haben" (577). Am Beispiel einiger theologischer Einzelthemen (Gott/
Gottebenbildlichkeit, Jesus Christus, Erinnerung,
Praxis der Kirchen sowie Gerechtigkeit und Verbunden-
heit) macht die Autorin abschließend deutlich,
welche Veränderungen sich auf Grund der Berücksichti-
gung der Gender-Forschung ergeben würden bzw. teilweise
bereits ergeben.
Im Ganzen bietet das Buch einen faszinierenden und ausgesprochen
qaulifizierten Einblick über die bereits
stattgehabte Entwicklung und die weiteren Perspektiven der Geschlechterforschung
in den verschiedenen
Kultur- und Sozialwissenschaften. Dabei fällt wohltuend auf, dass jeder Beitrag
sich gesondert auf einen
der verschiedenen Wissenschaftsbereiche konzentriert und überdies jeweils von einer darin
qualifizierten
Wissenschaftlerin verantwortet wird. Hilfreich sind die an den Anfang der Beiträge gestellten
Inhaltsüber-
sichten sowie die an den Schluss gestellten umfangreichen Literaturverzeichnisse. Ein Verzeichnis der
Autorinnen
sowie ein Personen- und ein Sachregister runden den verdienstvollen Band ab.
Herbert Frohnhofen, 11. Juni 2007