Bücher, zumal Lehrbücher, zur Theologischen
Anthropologie sind nach wie vor selten; zu neu ist die-
ser Traktat noch in der systematischen Theologie, zu vielfältig
und unübersichtlich sind deshalb oft
noch die Vorstellungen darüber, welches denn die angemessenen Inhalte
dieses Traktates sein sollen.
Um so verdienstvoller ist es, dass die Veröffentlichung des hier zu
besprechenden Buches vom Regens-
burger Dogmatiker gewagt wurde. Freilich weist dieser gleich zu Beginn den
Anspruch zurück, die-
ses Buch auf eine Stufe "mit umfassenden Entwürfen wie
denen von Karl Rahner (+ 1984), Otto Her-
mann Pesch oder Wolfhart Pannenberg" stellen zu wollen; vielmehr
solle es ein Lehrbuch sein, dessen
Ziel es ist "die Leser/innen in theologisches Denken einzuführen,
ihnen grundlegende Zusammenhänge
der Theologischen Anthropologie zu erschließen, sie zum eigenen
Fragen anzuregen und in das eigene,
von jedem Menschen selbst zu verantwortende Denken zu entlassen" (15). Die jüdische Basis des christ-
lichen Glaubens und das philosophische Denken seien dabei unhintergehbar.
Als theologischer Traktat
habe die Theologische Anthropologie ihre Wurzeln in der bereits im Vorfeld
des Zweiten Vatikanums
begonnenden sogenannten anthropologischen Wende in der Theologie,
die die Rede von der Mensch-
werdung Gottes radikal ernstnimmt und von daher ein Denken entfaltet, das
alles Menschliche auf Gott
und alles Göttliche auf den Menschen hin zu beziehen sucht.
Das erste Kapitel des Buches betrachtet den
Menschen in der aktuellen Situation "globalisierter Unüber-
sichtlichkeit und multipler Identitäten".
Angesprochen und in Ansätzen dargestellt werden die oft zum
persönlichen Chaos werdende Komplexität unserer Lebensverhältnisse,
die Ambivalenz der Geschichte
zwischen (ethischem) Fortschritt und abgrundtiefer Gewalttätigkeit,
der heute verbreitete Versuch, den
Menschen und sein Willensvermögen rein naturalistisch zu betrachten,
die Schwierigkeit, Würde und
Einzigartigkeit des Menschen vor dem Hintergrund aktueller Gen-Forschungen
noch zu bewahren, die
durch die virtuellen Realitäten des Internet verkomplizierte Ontologie
sowie die Herausforderung des
postmodernen Pluralismus. - Im zweiten Kapitel stellt der Autor
diesen aktuellen Herausforderungen
biblische und historische Perspektiven auf den Menschen gegenüber.
Ausgangspunkt ist hier die Kon-
tingenz des menschlichen Lebens, die Unverfügbarkeit unserer Lebenszeit
bzw. unser "Geworfensein" in
das Leben. Dieser wird biblisch mit dem Konzept der Schöpfung begegnet,
also jenes Bezogenseins des
Menschen und der gesamten Welt auf einen sinn- und heilwollenden Gott,
der auch die tiefsten Dunkel
heiten des Lebens umfasst. In theologiegeschichtlicher Perspektive werden
klassische Topoiwie die Cre-
atio ex nihilo, die Verwendung des Analogiebegriffs, die Beziehungshaftigkeit
des Menschen und seine
Zweigeschlechtlichkeit sowie die Leib-Seele-Problematik erläutert.
Das dritte Kapitel widmet sich der Bedeutung
und vor allem der komplizierten Geschichte der Imago-
Dei-Vorstellung. Ausgehend von einer Gegenüberstellung
der biblischen Begriffe der Gottebenbildlich-
keit des Menschen einerseits und des Verbots, sich ein Bild von Gott zu
machen, andererseits kommt vor
allem die in der östlichen und westlichen Theologie sehr unterschiedlich
verlaufene Geschichte der Bezie-
hung von Bild und Ähnlichkeit zur Sprache, bevor auch der Person-Begriff
- zu Recht - in der Imago-Dei-
Konzeption verankert wird. - Das sehr spannende vierte Kapitel entfaltet
den Sündenbegriff und seine
Geschichte. Etwas überraschend und irritierend steht die Idee
der "felix culpa" am Beginn des Kapitels;
die Sünde wird also sogleich unter der Perspektive ihrer heilvollen
Überwindung betrachtet. Mit Bezug
auf die Bibel deutet der Autor die Ursünde vor allem als Beziehungsstörung,
ja Beziehungsabbruch gegen-
über Gott und den Mitmenschen, und damit als Ursache für seelischen
Tod. Die für ein heilvolles Leben
an Gott gebundene Freiheit (Autonomie als Theonomie) kommt in der Folge
ebenso zur Sprache, wie die
paulinische Gegenüberstellung von Glaube und Sünde und die durch
Jesus Christus geschenkte Erlösung.
Theologiegeschichtlich wird auf Augustins Erbsündentheorie, des Aquinaten
Sündenverständnis als Ab-
kehr von Gott und Verkrümmung in sich selbst sowie Luthers Rede vom
immerwährenden Sünder verwie-
sen. Die systematische Durchdringung fällt hier allerdings sehr kurz
aus.
Im fünften Kapitel stellt der Autor herausragende
theologisch-anthropologische Konzeptionen der Gegen-
wart vor und kommt hierbei auf Karl Rahner, Wolfhart Pannenberg, Thomas
Pröpper und Josef Wohlmuth
zu sprechen, wobei letztere Bezugnahme wohl vorrangig biographisch bedingt
ist. Schließlich kommen in
einem kurzen sechsten Kapitel eher philosophische bzw. die theologische
Erkenntnislehre betreffende
Überlegungen zu Pluralismus und Wahrheit sowie zu Walter Benjamins
Blick auf die Opfer der Geschich-
te zur Sprache, die im aufliegenden Zusammenhang einer theologischen Anthropologie
allerdings als nur
wenig eingebunden erscheinen. Im Ganzen wird ein beeindruckendes Lehrbuch
zur Theologischen Anthro-
pologie vorgelegt, das an vielen Stellen zum Weiterfragen und Weiterlesen
sehr einlädt.
Herbert Frohnhofen, 1. März 2007